Rainer Maria Rilke - Gedichte und Balladen

Rainer Maria Rilke

 

 

 

 

Gedichte und Balladen von Rainer Maria Rilke (1875 - 1926)

Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

 

Es gibt so wunderweiße Nächte (Weihnachtsgedicht)


Es gibt so wunderweiße Nächte,
Drin alle Dinge Silber sind. 
Da schimmert manchen Stern so lind,
Als ob er fromme Hirten brächte
Zu einem  neuem Jesuskind.

Weit wie mit dichtem Diamantenstaube
Bestreut,  erscheinen Flur und Flut,
Und in die Herzen,  traumgemut,
Steigt ein kapellenloser Glaube,
Der leise seine Wunder tut.
 

 

 

Es treibt der Wind im Winterwalde

   

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt    
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird, 
und lauscht  hinaus;   
den weißen Wegen streckt sie die Zweige hin,
bereit und wehrt dem Wind
und wächst entgegen 
der einen Nacht der Herrlichkeit. 



Herbstgedichte von Rainer Maria Rilke

Herbststimmung

 

Die Luft ist lau,  wie in dem Sterbezimmer,
an dessen Türe schon der Tod steht still;  
auf nassen Dächern liegt ein blasser Schimmer,
wie der der Kerze,  die verlöschen will.

Das Regenwasser röchelt in den Rinnen,  
der matte Wind hält Blätterleichenschau; -
und wie ein Schwarm gescheuchter Bekassinen
ziehn  bang die kleinen Wolken durch das Grau.


Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde. 
    
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.  
    
Wir alle fallen. Diese Hand da  fällt.
Und sieh dir andre an:  es ist in allen.
    
Und doch ist Einer,  welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

 

Herbsttag

 

Herr: es ist Zeit.  Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren lass die Winde  los.
Befiehl  den letzten Früchten voll zu sein;
Gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
Dränge sie zur Vollendung hin und jage
Die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist,  wird es lange bleiben,
Wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
Und wird in den Alleen hin und her
Unruhig wandern,  wenn die Blätter treiben



Der Novembertag

Kalter Herbst vermag den Tag zu knebeln,
seine tausend Jubelstimmen schweigen;
hoch vom Domturm wimmern gar so eigen
Sterbeglocken in Novembernebeln.

Auf den nassen Dächern liegt verschlafen
weißes Dunstlicht; und mit kalten Händen
greift der Sturm in des Kamines Wänden
eines Totenkarmens Schlußoktaven.

 

Weitere Gedichte von Rilke

 Ich bin so jung
 
Ich bin so jung. Ich möchte jedem Klange,
der mir vorüberrauscht, mich schaudernd schenken,
und willig in des Windes liebem Zwange,
wie Windendes über dem Gartengange,
will meine Sehnsucht ihre Ranken schwenken,

Und jeder Rüstung bar will ich mich brüsten,
solang ich fühle, wie die Brust sich breitet.
Denn es ist Zeit, sich reisig auszurüsten,
wenn aus der frühen Kühle dieser Küsten
der Tag mich in die Binnenlande leitet.
Ich bin zu Hause

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Kinder schläfern, heiß vom Hetzen,
dort wo die Alten sich zu Abend setzen,
und Herde glühn und hellen ihren Raum.

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.
Dort wo die Abendglocken klar verlangen
und Mädchen, vom Verhallenden befangen,
sich müde stützen auf den Brunnensaum.

Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;
und alle Sommer, welche in ihr schweigen,
rühren sich wieder in den tausend Zweigen
und wachen wieder zwischen Tag und Traum

 

Der Bach hat leise Melodien

Der Bach hat leise Melodien,
and fern ist Staub und Stadt;
die Wipfel winken her und hin
und machen mich so matt.

Der Wald ist wild, die Welt ist weit,
mein Herz ist hell und groß;
es hält die blasse Einsamkeit
mein Haupt in ihrem Schoß.

 

Pfauenfeder

Pfauenfeder:
in deiner Feinheit sondergleichen,
wie liebte ich dich schon als Kind.
Ich hielt dich für ein Liebeszeichen,
das sich an silberstillen Teichen
in kühler Nacht die Elfen reichen,
wenn alle Kinder schlafen sind.

Und weil Großmütterchen, das gute,
mir oft von Wünschegerten las,
so träumte ich, du Zartgemute,
in deinen feinen Fasern flute
die kluge Kraft der Rätselrate -
und suchte dich im Sommergras.


Will dir den Frühling zeigen

Will dir den Frühling zeigen,
der hundert Wunder hat.
Der Frühling ist waldeigen
und kommt nicht in die Stadt.

Nur die weit aus den kalten
Gassen zu zweien gehn
und sich bei den Händen halten -
dürfen ihn einmal sehn.


An Hölderlin

Verweilung, auch am Vertrautesten nicht,
ist uns gegeben; aus den erfüllten
Bildern stürzt der Geist zu plötzlich zu füllenden; Seeen
sind erst im Ewigen. Hier ist Fallen
das Tüchtigste. Aus dem gekonnten Gefühl
überfallen hinab ins geahndete, weiter.

Dir, du Herrlicher, war, dir war, du Beschwörer, ein ganzes
Leben das dringende Bild, wenn du es aussprachst,
die Zeile schloß sich wie Schicksal, ein Tod war
selbst in der lindesten, und du betratest ihn; aber
der vorgehende Gott führte dich drüben hervor.

O du wandelnder Geist, du wandelndster! Wie sie doch alle
wohnen im warmen Gedicht, häuslich, und lang
bleiben im schmalen Vergleich. Teilnehmende. Du nur
ziehst wie der Mond. Und unten hellt und verdunkelt
deine nächtliche sich, die heilig erschrockene Landschaft,
die du in Abschieden fühlst. Keiner
gab sie erhabener hin, gab sie ans Ganze
heiler zurück, unbedürftiger. So auch
spieltest du heilig durch nicht mehr gerechnete Jahre
mit dem unendlichen Glück, als wär es nicht innen, läge
keinem gehörend im sanften
Rasen der Erde umher, von göttlichen Kindern verlassen.
Ach, was die Höchsten begehren, du legtest es wunschlos
Baustein auf Baustein: es stand. Doch selber sein Umsturz
irrte dich nicht.

Was, da ein solcher, Ewiger, war, mißtraun wir
immer dem Irdischen noch? Statt am Vorläufigen ernst
die Gefühle zu lernen für welche
Neigung, künftig im Raum?

Der Regen greift mit seinen kühlen

Der Regen greift mit seinen kühlen
Fingern uns die Fenster blind
Wir lehnen in den tiefen Stühlen
Und lauschen wie aus müden Mühlen
Die leise Dämmerstunde rinnt

Und dann spricht Lou. Und es verneigen
Sich unsre Seelen. Auch der Strauß
Am Fenster grüßt aus hohen Zweigen
Und wir sind alle heimateigen
In diesem leisen weißen Haus



Die Lehre des Lebens

Eins - lernt man in dem Leben doch: entbehren,
und ganz gewiß - ob früher oder spät -
des jungen Herzens ungestümes Gähren
vergeht.

Dann sieht man tränenlos auf mancher Bahre,
lernt mählich Teures missen - und versteht,
daß auch der größte Schmerz im Lauf der Jahre
vergeht.



Die Rose.

Die Rose hier, die gelbe,
Gab gestern mir der Knab’;
Heut trag’ ich sie, dieselbe,
Hin auf sein frisches Grab.

Die Rose ist seit gestern
Noch immer hold und schön,
So ganz wie ihre Schwestern
Im Hag und auf den Höh’n.

An ihren Blättern lehnen
Noch lichte Tröpfchen — schau!
Nur sind es heute — Tränen,
Und gestern war es Tau . . . .